Umgangsformen.... Behinderung
Der Umgang mit Menschen, die körperlich oder geistig behindert sind,
stellt sich oft als schwierig heraus. Die Schwierigkeiten rühren dabei
in den seltensten Fällen von den Personen selbst, sondern vielmehr von
unserer eigenen Hilflosigkeit, unangebrachtem Mitleid, Angst vor
versehentlicher Diskriminierung und übertriebener Hilfsbereitschaft.
Behinderte“ oder „Menschen mit Behinderung“?
Die Probleme im Umgang mit Behinderung beginnen bereits beim Wort
selbst. „Behinderung“ und „Behinderte“ sind wertfreie Wörter. Sie haben
weder eine diskriminierende Nebenbedeutung noch stigmatisieren sie
Personengruppen. Verwenden Sie diese Wörter ohne Bedenken.
Soziale Organisationen empfehlen mitunter die Verwendung anderer
Ausdrücke. Sie sprechen von „Menschen mit Behinderung“ um hervorzuheben,
dass Behinderte auch Menschen sind, oder von „geistig anders begabten
Menschen“ um auszudrücken, dass eine geistige Behinderung nicht als
Fehlen geistiger Fähigkeiten betrachtet werden sollte. Stehen Sie mit
einer solchen Organisation in Kontakt und möchten Sie eine besondere
Verbundenheit zum Ausdruck bringen, so verwenden Sie diese Begriffe.
Notwendig ist dies jedoch nicht, im Gegenteil kann es genau so gut von
Betroffenen als unpassende Euphemisierung empfunden werden.
Beachten Sie, dass einige andere Wörter der Umgangssprache tatsächlich
unzutreffend sind. So ist es beispielsweise falsch von „Taubstummheit“
zu sprechen, der richtige Ausdruck ist „Taubheit“ oder „Gehörlosigkeit“.
Gleichbehandlung
Das Wort „Gleichbehandlung“ ist Quelle endloser Wirrungen. Einerseits
wird gefordert, Behinderte und nicht Behinderte völlig gleich zu
behandeln, beispielsweise indem man die reduzierte Augenhöhe eines
Rollstuhlfahrers überspielt und geistig Behinderte nicht in Babysprache
anspricht. Andererseits wird gefordert, Trägern von Behindertenausweisen
Sonderrechte einzuräumen und Gehörlosen das Gesicht zum Lippenlesen
überdeutlich zuzuwenden, wobei von einer gleichen Behandlung keine Rede
mehr sein kann.
Dieses Dilemma hängt damit zusammen, dass wenn Gleichbehandlung
gefordert wird, eigentlich Gleichstellung gemeint ist. Behinderte und
nicht Behinderte sollen dieselben Chancen und den gleichen Zugang zu
allem haben.
Lernen Sie einen Behinderten kennen, sind Sie selbstverständlich
neugierig auf Art und Herkunft der Behinderung. Einige Behinderte fassen
es als Beleidigung auf, wenn Sie nach diesen Aspekten fragen oder sehen
sich gezwungen, von einem einschneidenden Erlebnis in ihrem Leben zu
berichten, dass sie selbst noch nicht völlig verarbeitet haben. Andere
Behinderte fassen es als Beleidigung auf, wenn Sie nicht nach diesen
Aspekten fragen, denn es ist offensichtlich, dass Sie sich dafür
interessieren und die Vermeidung bestätigt ihnen, dass sie anders
behandelt werden als nicht Behinderte.
Sollten Sie behinderten Menschen auf gesellschaftlichen Ereignissen oder
in privatem Rahmen vorgestellt werden, gehen Sie einfach im Rahmen der
normalen Umgangsformen mit ihnen um. Neugierige Fragen sollten Sie nicht
stellen, wenn Sie sich nicht näher kennen. Auch ein Satz wie „Dass Sie
es trotz Ihrer Behinderung zur Personalchefin gebracht haben!“ sagt oft
mehr über Sie aus, als dass das Gegenüber dadurch geschmeichelt wäre.
Bei gehörlosen Menschen denken Sie daran, sich ihnen mit dem Gesicht
zuzuwenden, so dass sie ohne Mühe von den Lippen ablesen können.
Besonders langsam müssen Sie dabei übrigens nicht sprechen, wenn Sie
ihre Lippen etwas (!) „übertriebener“ spielen lassen, ist dies
allerdings eine Erleichterung für diese Menschen.
Hilfsangebot
Menschen mit Behinderung kommen oft besser mit Ihrer Umwelt zurecht, als
man denkt. Man hüte sich beispielsweise davor, einen Rollstuhlfahrer auf
der Strasse einfach ein Stück zu schieben oder den Blinden an der
Kreuzung an die Hand zu nehmen und auf die andere Strassenseite zu
bringen. Das könnte denjenigen sehr erschrecken, das selbst gefundene
Gleichgewicht stark stören und z. B. Blinde in ihrer Orientierung sehr
stark beeinträchtigen.
Wenn diese Menschen Hilfe brauchen, signalisieren sie es meist selbst.
Dann sollten Sie selbstverständlich bereit sein, ihnen diese Hilfe zu
gewähren oder ihnen helfen, anderswo Hilfe zu bekommen. Es gibt
allerdings auch Behinderte, die aufgrund früherer schlechter Erfahrungen
nicht um Hilfe bitten. Sie machen nie etwas falsch, wenn Sie höflich
fragen, ob Sie behilflich sein dürfen; fragen Sie jedoch stets bevor Sie
helfen.
Es gibt ältere und behinderte Menschen, die Ihr Hilfsangebot als
beleidigend grob abweisen werden. Das Benehmen dieser Leute ist eine
Schande! Ein höfliches Hilfsangebot ist niemals als Beleidigung
anzusehen. Bringen Sie klar zum Ausdruck, was Sie von solch schlechtem
Benehmen halten. Lassen Sie sich von einer solchen Reaktion auf keinen
Fall davon abhalten, auch dem nächsten hilfsbedürftig aussehenden
Menschen Ihre Dienste anzubieten!
Hilfsanforderung
Als Behinderter dürfen Sie jederzeit und in jeder Situation Hilfe
anfordern. Tun Sie dies höflich in Frageform und mit Bitte. Der Gefragte
darf Ihr Gesuch ohne Angabe von Gründen abschlagen. Es gibt durchaus
gute Gründe, eine Hilfsanforderung abzuschlagen und ein Fremder ist
Ihnen über sein Verhalten keine Rechenschaft schuldig. Wenn Ihnen Hilfe
also nicht gewährt wird, reagieren Sie nicht pappig sondern wenden Sie
sich an die nächste Person.
Es gibt aggressive Behinderte, die anderen Menschen ohne ein Wort ihren
Behindertenausweis vor die Nase halten und ein grobes „Los, weg da!“ als
freundliche Aufforderung ansehen. Das Benehmen dieser Leute ist eine
Schande! Sie schädigen nicht nur ihr eigenes Ansehen sondern das Ansehen
aller Behinderten.
Keine Frage des Alters oder Aussehens
Behinderung ist keine Frage des Alters und nicht immer von aussen
sichtbar. Machen Sie sich klar, dass die junge Frau, die da auf „Ihrem“
Seniorenplatz im Bus sitzt, möglicherweise völlig zu Recht dort sitzt,
weil Sie eine nicht auf den ersten Blick sichtbare Behinderung hat. Auch
gewöhnliche Verletzungen wie Kreuzbandriss oder Bandscheibenvorfall
berechtigen Menschen allen Alters, diese „Behindertenplätze in Anspruch
zu nehmen.
Wenn Sie glauben, jemand blockiere einen solchen Platz zu Unrecht, gehen
Sie davon aus, dass die Person den Hinweis ohne böse Absicht übersehen
hat und sprechen Sie sie höflich darauf an.